Freitag, 10. Juni 2022

Notizen Juni 2022

Notizen Juni 2022 




Chuck Palahniuk
 (*1962) 

Fight Club (1996)

Nachdem ich den Film mehrmals gesehen habe, erstmals den Roman gelesen. Ich kann mit dieser "hippen" Art zu schreiben a la Bret Easton Ellis oder Douglas Coupland nicht viel anfangen. Ich persönlich hatte während der Lektüre immer wieder das Bild von Jugendlichen vor Augen, die so gelangweilt sind, dass sie nicht nur ein Bisschen Drogen nehmen, sondern sich mit Zigaretten Brandwunden zufügen und dabei ausrufen: "Coooool!"
Sozial- und Gesellschaftskritik sind darin sehr wohl verpackt und auch zu finden, aber das Weltbild lässt doch eher an einen gelangweilten High School Schüler denken.
Selten war der Informationsverlust zwischen einem Roman und dessen Verfilmung so gering wie im Verhältnis dieser (m.E. sehr guten) Verfilmung aus dem Jahre 1999 und dessen Romanvorlage - wobei ich nicht entscheiden will, ob das für den Film oder gegen die Qualität des Buchs spricht.



Michel Houellebecq (*1956) 


Unterwerfung (
Soumission) (2015) 

Lange habe ich mich geweigert, diesen Roman zu lesen, weil er mir zu sehr an der Tagespolitik zu hängen schien.
Aus der Distanz von mehr als 5 Jahren habe ich mich nun darüber gewagt.
Ich habe mir noch keine endgültige Meinung darüber gebildet... der Vorwurf, dass Houellebecq hier ein Thema zum Zweck des inszenierten Skandals aufgreift, ist m.E. jedenfalls nicht gerechtfertigt.
Es geht ihm hier - das unterstelle ich - schon um ernste Kritik (wie weit Kritik bei Houellebecq "ernst" ist, wäre zu diskutieren) an gesellschaftlichen, ja geistesgeschichtlichen Entwicklungen in Frankreich und Europa.

Man könnte Houellebecq als einen der scharfzüngigsten Humanisten bezeichnen, was allerdings insofern irreführend wäre, weil er sich den Boden des Humanismus selbst unter den Füßen weggezogen hat bzw. dieser ihm weggezogen wurde und somit hängt er literarisch im selben luftleeren, in sich widersprüchlichen, Raum wie Richard Rorty philosophisch im Nichts hängt.
Houellebecq steht auf dem Boden eines intellektuellen "Nihilismus Post-Nietzsche", dem einerseits nichts bleibt als schrankenloser Hedonismus (den er ja mit seinen sexuellen Männerphantasien in fast all seinen Werken übersteigert und persifliert...), dem aber letztlich die "Lust-Unlust" Bilanz einen Strich durch die Rechnung macht und was bleibt, ist eine Welt, die eher ein "schopenhauersches Jammertal" voller Krankheit, Leiden und Verfall darstellt (siehe auch seinen Roman "Serotonin")
Was mich verwundert, ist, dass die islamische Öffentlichkeit nicht mit mehr Kritik und Ablehnug auf diesen Roman reagiert hat.
Das ist vielleicht dem Umstand zu verdanken, dass eine islamische Staats- (Welt-) Ordnung (bis hin zur Gesetzgebung auf Basis der Scharia) in diesem Roman oberflächlich als in keinster Weise schlecht oder verwerflich, ja sogar in vielen Aspekten als effektiv und positiv dargestellt wird.
Der Islam wird, ein weiterer Kunstgriff Houellebecqs, fast ausschließlich gebrochen durch die Sichtweise von konvertierten Europäern (egal welcher Herkunft) dargestellt.

Wer zwischen den Zeilen liest, findet aber eine bitterböse Satire auf Patriachat, Hedonismus, Chauvinismus und (Macht-) Politik - wobei, und das ist ein weiterer Kunstgriff Houellebecqs - v.a. die intellektuelle Elite und der staatliche Bildungsbetrieb Frankreichs vorgeführt wird und ganz schlecht wegkommt...und nicht der Islam.
Und Bekehrung zum Islam wird parallel zur Konversion vieler Intellektueller Frankreichs (und Europas) zwischen 1880 und 1930 (konkret am Beispiel von Huysmans, mit vielen Passagen zu diesem Schriftsteller, die viele Leser vielleicht langweilen werden, aber durchaus passend und nicht wegzudenken sind, und auch dazu dienen in vielen Punkten den akademischen Betrieb und die Literaturwissenschaft aufs Korn zu nehmen) dargestellt, und somit in einen nachvollziehbaren Zusammenhang der europäischen Geistesgeschichte gestellt.
Hier wird ein ganz großer Bogen gespannt über den Naturalismus des 19. Jahrhunderts, der Decadance Literatur, der Renouveau catholique, den "engagierten" Schriftstellern des 20. Jahrhunderts (die, und darauf weist Houellebecq immer wieder bissig hin, sich für die größten Massenmörder der Geschichte begeistern konnten) bis zur Postmoderne und der daraus resultierenden völligen Orientierungslosigkeit.

Fazit: insofern, wider Erwarten, ein ganz großer Roman, der viel mehr ist, als (offensichtlich ausreichend versteckte) Islamismus-Kritik.