Dienstag, 6. April 2021

Notizen April 2021

Notizen April 2021



Graham Greene (1904 - 1991) 


The Third Man (1950) 
Obwohl ich den Film in meiner Jugend gesehen habe, kannte ich die Buchfassung noch nicht...und war sehr gespannt, aber begann das Werk mit geringen Erwartungen.
Durchaus lesenswert, und ist mir persönlich lieber als der Film, obwohl von Greene selbst nur als Ergänzung zum Filmskript betrachtet und als "Unterhaltung" klassifiziert.
Die "Humphrey Bogart" Figur Rollo Martins wirkt auf den ersten Blick altbacken - eben das Klischee des "Harten Mannes" aus dem Genre "Film Noir" der 1940er und 50er Jahre, aber der Charakter wird im Verlauf der Erzählung immer weiter persifliert - parallel dazu verpackt Greene Kritik an der modernen Literatur seiner Zeit in diesen durchaus spannenden Agenten-Thriller, indem er den Autor Martins, den Verfasser seichter Wildwestromane, der mit seiner Schriftstellerei einfach nur Geld verdienen will, mit einer literarischen Gesellschaft konfrontiert, die sich mit Bewunderung dem experimentellen Roman der Zwischenkriegszeit widmet. Wie so oft verweigert Greene auch hier eine einfache Bewertung, einen klaren Standpunkt - der Leser kann für sich entscheiden was das kleinere Übel ist: Der luftleere Raum "joyce'scher Experimente" oder der seichte Unterhaltungsroman, der rein dem Gelderwerb dient?
Und an dieser Stelle nimmt Greene sich nochmal selbst aufs Korn: Indem sich der seichte Unterhaltungs-Schreiberling bei der Gesellschaft der Verehrer hoher Kunst anbiedert, kann er sich einen finanziellen Vorteil verschaffen.
D.h. nicht nur die skrupellosen Machenschaften Harry Limes', sondern auch Rollo Martins Schriftstellerei kreisen um das Kernthema: wie lässt sich in einer von Armut und widrigen Bedingungen bestimmten Zeit Geld machen und wie weit ist ein Individuum bereit dafür zu gehen?

Bemerkenswert ist auch die Erzählperspektive: Der ermittelnde britische Polizeioffizier rekonstruiert die Geschichte nachdem der Fall abgeschlossen ist...

Und zum Abschluss ein Zitat, das wohl auch ebenso amüsant wie zeitlos erscheint:
"I’ve always hated policemen. They are always either crooked or stupid."

John Galsworthy (1867 - 1933) 

The Man Of Property (1906) 
Weiterhin ... komme langsam voran - aber auch heute noch interessant, weil bei aller Differenz zu diesen Typen bürgerlicher Familien, die nur mehr vereinzelt existieren dürften, diese Konstellation in menschlichen Verhältnissen, nämlich Menschen wie Gegenstände besitzen zu wollen immer noch ein wesentliches Thema der Gesellschaft des 21. Jahrhunderts darstellt.


Gabriel Faure (1845 - 1924) 

Sicilienne op.78 (aus der Musik zu „Pelleas et Melisande“) für Violonchello & Klavier (1898)


Richard Strauss (1864 - 1949)

Stimmungsbilder op.9 – Fünf Stücke für Klavier (1884)


Richard Strauss (1864 - 1949)

Ständchen op.17 Nr.2 / Bearbeitung für Klavier (1886)
z.B.: https://www.youtube.com/watch?v=3aMMrPmx8cg (recht schnell gespielt)


Hölderlin (1770 - 1843)

Andenken (1803)
Der Nordost wehet,
Der liebste unter den Winden
Mir, weil er feurigen Geist
Und gute Fahrt verheißet den Schiffern.
Geh aber nun und grüße
Die schöne Garonne,
Und die Gärten von Bourdeaux
Dort, wo am scharfen Ufer
Hingehet der Steg und in den Strom
Tief fällt der Bach, darüber aber
Hinschauet ein edel Paar
Von Eichen und Silberpappeln;

Noch denket das mir wohl und wie
Die breiten Gipfel neiget
Der Ulmwald, über die Mühl,
Im Hofe aber wächset ein Feigenbaum.
An Feiertagen gehn
Die braunen Frauen daselbst
Auf seidnen Boden,
Zur Märzenzeit,
Wenn gleich ist Nacht und Tag,
Und über langsamen Stegen,
Von goldenen Träumen schwer,
Einwiegende Lüfte ziehen.

Es reiche aber,
Des dunkeln Lichtes voll,
Mir einer den duftenden Becher,
Damit ich ruhen möge; denn süß
Wär unter Schatten der Schlummer.
Nicht ist es gut,
Seellos von sterblichen
Gedanken zu sein. Doch gut
Ist ein Gespräch und zu sagen
Des Herzens Meinung, zu hören viel
Von Tagen der Lieb,
Und Taten, welche geschehen.

Wo aber sind die Freunde? Bellarmin
Mit dem Gefährten? Mancher
Trägt Scheue, an die Quelle zu gehn;
Es beginnet nämlich der Reichtum
Im Meere. Sie,
Wie Maler, bringen zusammen
Das Schöne der Erd und verschmähn
Den geflügelten Krieg nicht, und
Zu wohnen einsam, jahrlang, unter
Dem entlaubten Mast, wo nicht die Nacht durchglänzen
Die Feiertage der Stadt,
Und Saitenspiel und eingeborener Tanz nicht.

Nun aber sind zu Indiern
Die Männer gegangen,
Dort an der luftigen Spitz
An Traubenbergen, wo herab
Die Dordogne kommt,
Und zusammen mit der prächtgen
Garonne meerbreit
Ausgehet der Strom. Es nehmet aber
Und gibt Gedächtnis die See,
Und die Lieb auch heftet fleißig die Augen,
Was bleibet aber, stiften die Dichter.



Sappho (~630~612 - 570 v. Chr.)

Gebet an Aphrodite
Buntbethronte himmliche Aphrodita,
Tochter Zeus', Trugspinnerin, zu dir fleh' ich,
Lass dem Unmut, lasse dem Gram mein Herz nicht,
    Göttin, erliegen!

Sondern komm hierher, wenn du sonst auch jemals,
Meines Anrufs Stimme vernehmend, fernher
Hörtest, und, den goldnen Palast des Vaters
    Lassend, herabkamst.

Im geschirrten Wagen; dich fuhr der schöne
Schnelle Sperlingszug um die weite Erde,
Dich die Flügel schwingend, vom Himmel mitten
    Hin in dem Aether.

Und sie kamen eilig, und du, o Sel'ge,
Lächelnd mit unsterblichem Angesichte,
Fragtest, was ich wieder erlitten, was ich
    Wieder dich rufe;

Was ich im wahnsinnigen Mutvornehmlich
Will gewährt sehn. "Wessen begehrst du wieder,
Den dir Peitho führe zur Lieben? Wer, o
Sappho, wer kränkt dich?

Siehe, wenn er flieht, wird er bald verfolgen,
Wenn er sonst Geschenke nicht nahm, sie geben,
Wenn er nicht geküsst, wird er bald dich küssen,
Wolltest du selbst nicht."

Komm auch jetzo zu mir und lös' aus schweren
Sorgen mich, nach wessen Erfüllung aber
Sich das Herz mir sehnt, das erfüll', und selber
Hilf mir im Kampfe!


Novalis (1772 - 1801)

Hymnen an die Nacht
Erste Hymne

Welcher Lebendige, Sinnbegabte, liebt nicht vor allen Wundererscheinungen des verbreiteten Raums um ihn, das allerfreuliche Licht — mit seinen Farben, seinen Strahlen und Wogen; seiner milden Allgegenwart, als weckender Tag. Wie des Lebens innerste Seele atmet es der rastlosen Gestirne Riesenwelt, und schwimmt tanzend in seiner blauen Flut — atmet es der funkelnde, ewigruhende Stein, die sinnige, saugende Pflanze, und das wilde, brennende, vielgestaltete Tier — vor allen aber der herrliche Fremdling mit den sinnvollen Augen, dem schwebenden Gange, und den zartgeschlossenen, tonreichen Lippen. Wie ein König der irdischen Natur ruft es jede Kraft zu zahllosen Verwandlungen, knüpft und löst unendliche Bündnisse, hängt sein himmlisches Bild jedem irdischen Wesen um. — Seine Gegenwart allein offenbart die Wunderherrlichkeit der Reiche der Welt.

Abwärts wend' ich mich zu der heiligen, unaussprechlichen, geheimnisvollen Nacht. Fernab liegt die Welt — in eine tiefe Gruft versenkt — wüst und einsam ist ihre Stelle. In den Saiten der Brust weht tiefe Wehmut. In Tautropfen will ich hinuntersinken und mit der Asche mich vermischen. — Fernen der Erinnerung, Wünsche der Jugend, der Kindheit Träume, des ganzen langen Lebens kurze Freuden und vergebliche Hoffnungen kommen in grauen Kleidern, wie Abendnebel nach der Sonne Untergang. In andern Räumen schlug die lustigen Gezelte das Licht auf. Sollte es nie zu seinen Kindern wiederkommen, die mit der Unschuld Glauben seiner harren?

Was quillt auf einmal so ahndungsvoll unterm Herzen, und verschluckt der Wehmut weiche Luft? Hast auch du ein Gefallen an uns, dunkle Nacht? Was hältst du unter deinem Mantel, das mir unsichtbar kräftig an die Seele geht? Köstlicher Balsam träuft aus deiner Hand, aus dem Bündel Mohn. Die schweren Flügel des Gemüts hebst du empor. Dunkel und unaussprechlich fühlen wir uns bewegt — ein ernstes Antlitz seh' ich froh erschrocken, das sanft und andachtsvoll sich zu mir neigt, und unter unendlich verschlungenen Locken der Mutter liebe Jugend zeigt. Wie arm und kindisch dünkt mir das Licht nun — wie erfreulich und gesegnet des Tages Abschied — Also nur darum, weil die Nacht dir abwendig macht die Dienenden, säetest du in des Raumes Weiten die leuchtenden Kugeln, zu verkünden deine Allmacht — deine Wiederkehr — in den Zeiten deiner Entfernung. Himmlischer, als jene blitzenden Sterne, dünken uns die unendlichen Augen, die die Nacht in uns geöffnet. Weiter sehn sie, als die blässesten jener zahllosen Heere — unbedürftig des Lichts durchschaun sie die Tiefen eines liebenden Gemüts — was einen höhern Raum mit unsäglicher Wollust füllt. Preis der Weltkönigin, der hohen Verkündigerin heiliger Welten, der Pflegerin seliger Liebe — sie sendet mir dich — zarte Geliebte — liebliche Sonne der Nacht, — nun wach' ich — denn ich bin Dein und Mein — du hast die Nacht mir zum Leben verkündet — mich zum Menschen gemacht — zehre mit Geisterglut meinen Leib, daß ich lustig mit dir inniger mich mische und dann ewig die Brautnacht währt.


Rainer Maria Rilke: "Schon, horch..."
Georg Trakl: "Im Frühling"
Rainer Maria Rilke: "Fortschritt"
Rainer Maria Rilke: "Ach zwischen mir..."